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Wer die Vertriebskanäle kontrolliert, kontrolliert den Zugang zum Kunden

Google ist es in den letzten zwei Jahrzehnten gelungen, sich als die dominierende Suchmaschine durchzusetzen. Heute entfallen über 90% des weltweiten Suchmaschinenmarktes auf den Internet-Giganten, und die Sparte bleibt mit 57% des Umsatzes nach wie vor der bei weitem wichtigste Teil des Google-Geschäfts. In den letzten Monaten hat die potenzielle Bedrohung dieser Vormachtstellung durch Konkurrenzprodukte, die auf großen Sprachmodellen (Large Language Models, LLMs) oder „KI“ basieren, große mediale Aufmerksamkeit erfahren. Unseres Erachtens ist es noch viel zu früh, um dahingehend Aussagen zu treffen, wie sich diese Modelle entwickeln werden, und mit Klarheit abzuschätzen, wie sie sich auf die Vielzahl von verschiedenen Branchen und letztlich auf die Gesellschaft als Ganzes auswirken werden. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass diese Modelle bisher nur minimale Auswirkungen auf die Marktanteile von Google hatten.1 Für den anhaltenden Erfolg von Google als bevorzugte Suchmaschine sind viele Faktoren ausschlaggebend. Dieser Newsletter beschäftigt sich vorwiegend mit einem davon, der oft unterschätzt wird – der umfassenden Kontrolle des Unternehmens über die Vertriebskanäle.

Die Vertriebskanäle bringen die Güter und Dienstleistungen vom Hersteller zum Endkunden. Ungeachtet der Einfachheit dieses Konzept ist der Vertrieb ein wesentliches Glied zwischen Wertschöpfung und Wertrealisierung. Durch den Vertrieb kann die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen angekurbelt oder eingebremst werden, und er kann starken Einfluss auf die Kaufentscheidungen von Verbrauchern haben. Wie wir im 20. Jahrhundert beobachten konnten, hatten viele Konsumgüterunternehmen ihren Erfolg ihrer überlegenen Vertriebsstärke zu verdanken.

Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist Coca-Cola. Das Unternehmen und sein Netz aus Abfüllern verfügen über eines der ausgeklügeltsten und umfassendsten Vertriebssysteme der Welt, was einen der Schlüsselfaktoren darstellt, die zum weltweiten und langjährigen Erfolg von Coca-Cola beitragen. Und für den globalen Brillenriesen EssilorLuxottica, um ein Beispiel aus dem Seilern-Universum zu nehmen, ist die Beherrschung des Vertriebskanals vielleicht der wichtigste Wettbewerbsvorteil überhaupt. EssilorLuxottica entwirft, erzeugt, vertreibt und verkauft seine Produktpalette, zu der Korrekturgläser, Brillenfassungen und Sonnenbrillen gehören. Das Unternehmen begann als Brillenhersteller und übernahm dann nach und nach die Kontrolle über den gesamten nachgelagerten Vertrieb, vom Groß- bis zum Einzelhandel. In den USA besitzt EssilorLuxottica das größte Labornetzwerk, das mehr als die Hälfte des Marktes auf sich konzentriert. Durch den direkten Besitz und Exklusiv-Liefervereinbarungen kontrolliert es außerdem die Mehrheit der Optikerketten und der unabhängigen Optiker. Und damit nicht genug: Der Gruppe gehört auch das zweitgrößte Augenversicherungsunternehmen in den USA, womit es seine dominierende Vertriebsposition zusätzlich festigt.

Doch diese Unternehmen gelten als typische Vertreter der „Old Economy“, des Geschäfts im 20. Jahrhundert. Sie erzeugen Sachgüter, bei denen sich aus einer weitreichenden physischen Vertriebsinfrastruktur beträchtliche Mengen- und Größenvorteile ableiten lassen. Die „neuen“ Unternehmen, die im 21. Jahrhundert entstanden sind und gedeihen, sind hingegen von ganz anderer Natur. Sie erzeugen digitale Produkte, deren Vertriebskosten durch das Internet ungleich niedriger zu sein scheinen. Womit sich die Frage aufdrängt, ob die Kontrolle über den Vertrieb einem Unternehmen in dieser neuen, digitalen Wirtschaft überhaupt noch Wettbewerbsvorteile verschaffen kann. Wir werden gleich sehen, dass dies nach wie vor der Fall ist.

Zurück zu Google: Die Mehrheit der Verbraucher greifen entweder über ihr Smartphone, ihren Desktop-PC oder Laptop auf das Internet zu. Verbraucherorientierte digitale Produkte, wie allgemeine Suchmaschinen, werden auf Smartphones über drei spezifische Zugangspunkte vertrieben – den Browser, die statische Suchleiste auf dem Startbildschirm des Geräts (Schnellsuchleiste) und über eine Suchmaschinen-App. Bei Desktop-PCs und Laptops ist der Browser der wichtigste Zugriffspunkt. Und bei all diesen Zugriffspunkten ist es Google gelungen, die voreingestellte Standard-Suchmaschine zu werden.

Der Effekt von Voreinstellungen auf die Entscheidungsfindung wurde bereits umfassend untersucht und dokumentiert. Dementsprechend tendieren Menschen im Großen und Ganzen stark dazu, Standardoption im Allgemeinen zu akzeptieren, anstatt sie vorsätzlich zu ändern. Aus diesem Grund bieten Voreinstellungen den Unternehmen eine diskrete Möglichkeit, die Entscheidungen der Verbraucher zu beeinflussen oder, wie manche sagen würden, zu manipulieren. Um einen Vorteil aus diesem Phänomen zu ziehen, hat Google ein starkes Produkt-Ökosystem entwickelt. Die Stärke des Produktportfolios in Verbindung mit vertraglichen Vereinbarungen mit Vertriebspartnern ermöglichte es Google, sich für seine Suchmaschine den Status des exklusiven, voreingestellten Standards zu sichern.

Die Anteile von globalen Internet-Browsern

Quelle: Statcounter, Januar 2023

Da auf Laptops und Desktop-PCs die meisten Verbraucher über einen Browser auf eine allgemeine Suchmaschine zugreifen, entwickelte Google seinen eigenen Browser und brachte 2008 Google Chrome auf den Markt. 2014 ist Chrome zum dominierenden Browser aufgestiegen und hält heute 65% des weltweiten Marktes. Um auch in den anderen Browsern die standardmäßige Suchmaschine zu werden, zahlte Google diese ganz einfach, mit der einzigen Ausnahme von Microsoft Edge. Somit kontrolliert Google rund 95% des gesamten Browservertriebs.

Tatsächlich gibt es für Smartphones weltweit nur zwei Betriebssysteme: Android, das technisch betrachtet Google gehört und weltweit einen Marktanteil von 72% hält, und iOS, das Apple gehört, mit einem Marktanteil von 28%. Google hat eine stattliche Summe an Apple gezahlt, um auf allen Apple-Geräten als Standardsuchmaschine voreingestellt zu sein. Schätzungen zufolge belief sich die für 2020 geleistete Zahlung auf 10 Milliarden, die für 2021 auf 15 Milliarden und die für 2022 auf satte 20 Milliarden US-Dollar. Noch interessanter ist es jedoch zu untersuchen, wie es Google (abgesehen von diesen rein finanziellen Transaktionen) gelungen ist, die Kontrolle über Android-Geräte zu erlangen.

Android wurde zwar hauptsächlich von Google entwickelt, ist jedoch ein Open Source-Projekt. Dies bedeutet, dass es jedermann kostenlos verwenden und installieren darf. Doch nur wenige Smartphone-Hersteller verwenden die wirklich „freie“ Version von Android, und selbst diese wenigen sind oft gezwungen, dies zu tun.2 Doch warum ist das so? Dem wichtigsten Grund nähern wird uns, indem wir uns fragen, wo der Wert eines mobilen Betriebssystems generiert wird. Denn ein Großteil seines Werts liegt nicht im Betriebssystem selbst, sondern im Ökosystem, das dieses umgibt. Das Open Source- oder „nackte“ Android-System hat keinen Zugang zum starken Ökosystem, das Google rund um Android geschaffen hat. Dieses umfasst unter anderem wesentliche Produkte wie Google Play (App Store), Gmail, YouTube und einige Kernfunktionen wie Sicherheitsupdates. Diese Produkte und Dienstleistungen gehören Google und werden von den Verbrauchern als sehr wichtig angesehen. Ohne diese Produkte ist ein Mobilgerät für Verbraucher mitunter viel weniger attraktiv und wird mit geringerer Wahrscheinlichkeit gekauft. Wollen Hersteller die „volle“ Version von Android verwenden, führt kein Weg an Google vorbei.

Hersteller müssen zum Beispiel mehrere Vereinbarungen unterzeichnen, so ein Mobile Application Distribution Agreement (MADA). Dieses verpflichtet Geräte-Hersteller, Google Search als vorinstallierte Standard-Suchmaschine anzubieten und eine Reihe von Google-Produkten vorzuinstallieren und sie an prominenter Stelle auf dem Startbildschirm anzuzeigen, wobei bestimmte Apps nicht gelöscht werden können. Seit dem EU-Kartellverfahren 2018 steht es Herstellern in der EU frei, zwei Apps nicht zu installieren – die Google Search-App und Chrome. In diesem Fall müssen sie jedoch eine Lizenzgebühr entrichten, um den Rest installieren zu können. Gleichzeitig hat Google wichtigen Vertriebspartnern wie Originalgeräteherstellern (OEMs, z. B. LG und Samsung), Mobilfunkanbietern (z. B. AT&T, T-Mobile und Verizon) und anderen Browsern (z. B. Opera und Mozilla) im Austausch für Exklusivität Anreize in Form von Umsatzbeteiligungsvereinbarungen (Revenue Share Agreements, RSAs) geboten. Diese hindern die Vertragspartner daran, andere Suchmaschinen vorzuinstallieren. Auf diese Weise hat Google durch den Einsatz von „Zuckerbrot“ und „Peitsche“ die effektive Kontrolle über 80% bis 90% der Vertriebskanäle für mobile Geräte erlangt.

Die Beherrschung der Vertriebskanäle war in der traditionellen Wirtschaft für physische Waren und Dienstleistungen eine wichtige Quelle für Wettbewerbsvorteile. Das Beispiel von Google zeigt, dass die Macht des Vertriebs in der digitalen Wirtschaft ungebrochen ist. Was in der New Economy ebenfalls gleich bleibt, ist die Bedeutung der Beziehung zwischen einem Produkt und seinem Vertriebskanal. In ausnahmslos allen Beispielen, die in diesem Newsletter behandelt werden – ob bei Coca-Cola, EssilorLuxottica und Google Search – haben die Unternehmen zuerst marktführende Produkte hergestellt und dann einen starken Vertrieb aufgebaut. Sie zeigen, dass die Entwicklung eines starken Produkts, der bevorzugte Zugang zum Vertrieb und die Kontrolle darüber Marktzutrittsschranken wirksam erhöhen und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil darstellen können.

N. Yu

28. April 2023


1Eine Analyse von Statcounter zeigt, dass der Marktanteil von Google zwischen Dezember 2022 und März 2023 geringfügig von 92,6% auf 93,2% gestiegen ist.

2So ist es zum Beispiel Huawei und anderen chinesischen Smartphone-Herstellern infolge des Handelskriegs zwischen den USA und China untersagt, mit US-Unternehmen zusammenzuarbeiten.

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