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Nur so stark wie das schwächste Glied

Denken Sie doch diesen Morgen mal darüber nach, wie die kleine Kaffeebohne eigentlich bis in Ihre Tasse gelangt ist. Vor mindestens vier Jahren wurde der Baum gepflanzt, auf dem diese Bohne gewachsen ist, irgendwo am „Bean Belt“ auf 800 bis 2.200 Metern Höhe. Die kleine Bohne wurde von den Kaffeebauern gehegt und gepflegt und schließlich geerntet, getrocknet und zu einer lokalen Kooperative wie dieser hier transportiert. Dort wurde sie einer Qualitätskontrolle unterzogen, getrennt, sortiert, geschält und geröstet und dann gewogen, bevor sie an einen Großhändler verkauft wurde.

Solche Großhändler lagern die Bohnen in speziellen, klimatisierten Räumen, um sie vor extremen Temperaturen und Feuchtigkeit zu schützen, die sie verderben würden. Anschließend werden sie verpackt und an lokale Vertriebspartner auf der ganzen Welt verschickt. Die Händler vor Ort transportieren den verpackten Kaffee mit Lastwagen und Kleintransportern in das Café, wo er in der Kaffeemühle fein gemahlen, in den Siebträger einer Kaffeemaschine gefüllt und mit einem Wasserdruck von neun Bar auf exakt 75 Grad Celsius erhitzt wird. Den Prozess, mit dem der Kaffee von der Bohne in die Tasse gelangt, nennt man „Lieferkette“. Unser aktueller Newsletter befasst sich mit der Frage, wie sich die Risiken solcher Lieferketten kontrollieren lassen, und bringt ihre Schwächen ans Licht, die durch übermäßiges Gewinnstreben entstehen.

Funktionierende Lieferketten funktionieren einfach

Wie erwähnt handelt es sich bei einer Lieferkette um einen Komplex aus Beschaffung, Produktionsmanagement, Logistik und Vertrieb, der notwendig ist, um Rohstoffe in ein fertiges Produkt umzuwandeln und es an einen Endkunden zu liefern.  Mit anderen Worten beschreibt der Begriff den Prozess, durch den etwas von A nach B gelangt, und für den sich – ähnlich wie im IT-Bereich – erst dann jemand interessiert, wenn er nicht mehr funktioniert. Außerdem handelt es sich um einen sehr spezifischen Prozess, der für jede Branche und jedes Produkt unterschiedlich ist (der Transport von flüssigem Erdgas erfordert eine völlig andere Lieferkette als der Transport von Orangensaft, und unser oben genanntes Beispiel für Kaffeebohnen basiert auf der Sorte Arabica. Die Sorte Robusto muss, wie der Name schon sagt, nicht ganz so sorgfältig behandelt werden).

Eine gut funktionierende Lieferkette ist wie ein gut choreografierter Tanz. Alle Beteiligten kennen ihre eigenen Schritte und auch die Schritte der anderen Tänzer genau. Wenn jeder Tänzer das tut, was er soll, entsteht eine nahtlose Inszenierung. Die Lieferketten funktionierten so nahtlos, dass sich die Aufmerksamkeit des Managements im Laufe der Zeit von „Lieferketten als Risiko“ zu „Lieferketten als Gewinnquelle“ verlagerte und teure Berater bezahlt wurden, um immer weitere Potenziale für lukrative Margensteigerungen zu identifizieren:

Abbildung 1: Eine grafik von bain & company aus dem Jahr 2019, wie Unternehmen ihre Lieferketten „neu erfinden“ könnten, um Margen und Cashflows zu steigern

Das Verhängnis der Lieferketten

Die Herausforderung liegt darin, dass ein System, das auf die Optimierung von Kosten und Geschwindigkeit ausgelegt ist, per definitionem nicht für Resilienz optimiert ist. Die Coronapandemie hat diese Schwäche ans Licht gebracht, das Modell an seiner Schwachstelle angegriffen und einen Dominoeffekt ausgelöst. Die jahrelange Auslagerung der Produktion an kostengünstige Standorte führte zu erheblichen Lieferengpässen, da die Produzenten nicht produzieren konnten und Lieferketten nicht in der Lage waren, sich schnell auf alternative Quellen einzustellen. Nachdem vom Auto bis zum elektronischen Krankenhausbett endlich alle Zulieferer gefunden waren, hatte man die Wahl, entweder mit unvollständigen Beständen zu arbeiten oder sich in ein aussichtsloses Dilemma zwischen höheren Preisen für Halbleiter und dem Verlust von Marktanteilen an die Konkurrenz zu begeben. Auch die Konzentration der Produktion an günstigen Standorten erwies sich jetzt als äußerst nachteilig. Das gesammelte Wissen und die errichtete Infrastruktur aus vielen Jahren ließen sich nicht so einfach übertragen. So war die Stellung Vietnams in jahrelanger Arbeit aufgebaut worden, als wichtigster Schuh- und Textilienproduzent von steigenden Produktionskosten in China zu profitieren. Die Anbieterkonzentration wurde zum Verhängnis, als ein von der Regierung verhängter Lockdown dieses Produktionszentrum für 15 Wochen lahmlegte. Die Folgen waren desaströs. Allein Nike verlor etwa 150 Millionen Produkteinheiten. Das entspricht einem T-Shirt, einem Paar Shorts und einem Paar Laufschuhe für jeden Einwohner Australiens und Neuseelands.

Auch die Transportinfrastruktur kam nicht ungeschoren davon. Die Seefrachter von Osten nach Westen hatten ihre Fracht zu Beginn der Pandemie im Westen abgeladen, waren aber nicht nach Osten zurückgekehrt. In Asien wurden deshalb die Versandcontainer knapp. Auch die mit Schiffen verstopften Häfen spielten eine Rolle. Der coronabedingte Mangel an Dockarbeitern in Versandhäfen wie Shanghai betraf auch wichtige Ankunftshäfen wie Hamburg in Deutschland und Long Beach in den USA. steigende frachtpreise und immer mehr schiffe, die darauf warten, entladen zu werden, waren die Folge:

Abbildung 2: Containerschiffe warten in Los Angeles/Long Beach

Die Infrastruktur hatte mit den Bemühungen zu kämpfen, den Rückstand wieder auszugleichen, und kollabierte schließlich, als ein Großteil des Hafenpersonals und der Spediteure wegen der vielen Überstunden, der schlechten Bezahlung, der hohen Benzinkosten und der Impfpflicht den Streik ausriefen. Als jeder Umschlagplatz in der Kette unter Druck geraten war, wurden aus einigen Tagen Verspätung erst Wochen, dann Monate. Schließlich machte sich dies auch in den Geschäftsbüchern bemerkbar, da die schwachen Umsätze auf die Lieferengpässe zurückgeführt wurden und die Margen unter den überhöhten Frachtpreisen und höheren Vorlaufkosten litten.

„Just-in-Time“ oder „Just-in-Case“?

Jahrelang hat man die Lieferketten immer weiter optimiert und auch die letzte Ineffizienz ausgemerzt, um maximale Gewinne zu erreichen. Und all das nur, damit eine globale Pandemie alles zunichte macht und man sich die Frage stellen muss, wie eine Lieferkette überhaupt zu funktionieren hat. Viele hat es überrascht, dass die Lieferketten deutlich weniger widerstandsfähig sind als erwartet. Diese Unternehmen kämpfen jetzt darum, ihre Arbeit größtenteils wieder rückgängig zu machen. Lieferketten werden neu gestaltet, um die Fertigung breiter aufzustellen und die Lieferanten zu diversifizieren. Regierungen bieten hohe Anreize, damit Schlüsselbranchen im Inland produzieren, und Unternehmen richten Resilienz-Teams ein, um die globalen Lieferketten zu sichern und nicht nur ihre eigenen Lieferanten, sondern auch die Lieferanten ihrer Lieferanten zu kontrollieren.

Jetzt, wo die Motoren des internationalen Handels weitgehend wieder rund laufen und der Warenfluss auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt ist, sollten wir darüber nachdenken, welche Erkenntnisse wir über das Lieferkettenrisiko gewonnen haben. Die bisherigen Prioritäten – Kosten und Geschwindigkeit – müssen neu überdacht und gegen die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten abgewogen werden. Der Toleranzbereich für „Ineffizienz“ muss also vergrößert werden. Auch ein Portfoliomanager darf dieses Problem nicht unbeachtet lassen und sollte sich überlegen, wie das Lieferkettenrisiko im Portfolio abgebildet werden kann. Die beste Möglichkeit, dieses Risiko zu minimieren, besteht darin, Lieferketten als solches zu vermeiden. Aber das ist nicht möglich. Es braucht also einen differenzierten Ansatz, der die Komplexität der Lieferketten berücksichtigt, den Grad der Ersetzbarkeit einzelner Kettenglieder,  eine starke Preismacht, die vonnöten ist, um Margen zu stützen, und geschäftskritische, aber nicht zum Kerngeschäft gehörende Produkte, die Kunden davon abhalten, sich nach Alternativen umzuschauen. Vor allem aber muss man unterscheiden können zwischen schlechten Ergebnissen, die ein Ausdruck vorübergehender Überhänge sind, und schlechten Ergebnissen, die auf eine fundamentale Verschlechterung des Geschäfts hindeuten.

MJ Faherty,

1. März 2023

Als „Bean Belt“ bezeichnet man die drei wichtigsten Kaffeeanbauregionen (Mittel- und Südamerika, Afrika, Naher Osten und Südostasien), die sich im Äquatorgebiet zwischen dem nördlichen und dem südlichen Wendekreis befinden. Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Geschäftsbereiche, die Bestände effizienter dorthin leiteten, wo sie gebraucht wurden, meldeten steigende Umsätze. Die Gewinnspannen steigerten sich durch mehr Outsourcing, was wiederum zu mehr Outsourcing und weiteren Margengewinnen führte. Durch die Verbesserung der Transportinfrastruktur und genauere Bedarfsprognosen dank besserer Tools konnten die Unternehmen weniger, aber dafür häufiger einkaufen, wodurch teure Lagerbestände reduziert und die Markteinführung neuer Produkte beschleunigt werden konnten. Mit „Just-in-Time“ wurde ein Lagerhaltungskonzept entwickelt, das darauf ausgelegt ist, den Warenbestand so nahe wie möglich an dem Zeitpunkt zu liefern, zu dem er tatsächlich benötigt wird.

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